In Deutschland sind die Beiträge der Arbeitnehmer Sozialversicherung steuerlich als Vorsorgeaufwendungen abziehbar, die Beiträge des Arbeitgebers Sozialversicherung sind aus deutscher Sicht steuerfrei. Der Gesetzgeber hatte dabei aber nur Arbeitsverhältnisse im Auge, die sozialversicherungsrechtlich in Deutschland zuhause sind. Dies ist bei grenzüberschreitende Tätigkeit aber nicht immer gegeben, wie sich aus dem oben dargestellten Inhalt und der EU Verordnung ergibt.
Das schafft regelmäßig Probleme bei der Frage, wie die Beiträge des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers zur schweizerischen Altersvorsorge – AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) – steuerlich zu behandeln sind. Die deutsche Finanzverwaltung nimmt dazu eine sehr restriktive Haltung ein. Sie beruft sich denn dazu auf ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) aus dem Jahr 2016. Dieses entspricht aus unserer Sicht zwar den deutschen Einkommensteuergesetz (EstG), ist aber nicht mit den europäischen Grundrechten vereinbar.
Obwohl die Schweiz kein Mitglied der EU ist, gelten etliche Grundrechte über die sogenannten bilateralen Verträge jedoch auch im Verhältnis zur Schweiz. Das hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) bereits im Jahr 2017 und seither in steter Regelmäßigkeit in weiteren Urteilen bestätigt. Dennoch änderte sich an der Haltung der Finanzverwaltung nichts. So kam es schließlich zu einem Gerichtsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH), der mit Urteil vom 15 11. 2019 sich der Sichtweise des EUGH anschloss. Damit muss das deutsche Finanzamt auch rückwirkend in allen offenen oder noch änderbaren Fällen die Vorsorgeaufwendungen zu Schweizer Kassen wie AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) berücksichtigen. Es lohnt sich, die Steuerbescheide der letzten Jahre nochmals darauf zu prüfen, ob diese noch änderbar sind.
Tenor des BFH-Urteils: Das Sonderausgabenabzugsverbot für Altersvorsorgeaufwendungen, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in der Schweiz erzielten und in Deutschland steuerlich freigestellten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stehen, verstößt gegen die durch das Freizügigkeitsabkommen (FZA) gewährleisteten Grundsätze der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Gleichbehandlung. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitslohn aufgrund des zwischen Deutschland und der Schweiz geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) nicht in Deutschland besteuert wird.
Das BMF, das sich auf sein Schreiben auf dem Jahr 2016 beruft, war dem Verfahren beigetreten. Das Urteil wirkt damit auch gegen die oberste Finanzbehörde in Deutschland und ist damit nicht lediglich eine Einzelfallentscheidung. Trotzdem hat das BMF sein Schreiben aus dem Jahr 2016 bisher nicht aufgehoben oder geändert. Nach den Feststellungen des BFH ist das Abzugsverbot für die Sonderausgaben geeignet, Arbeitnehmer von einer Beschäftigung in der Schweiz abzuhalten. Damit verstößt die Regelung im deutschen Einkommensteuergesetz gegen das Freizügigkeitsabkommen (FZA) der EU mit der Schweiz. Die Bediengung, wonach Sonderausgaben abzugsfähig sind, wenn die zugehörigen Einkünfte in Deutschland versteuert werden, ist damit auch im Verhältnis zur Schweiz unzulässig und daher das Gesetz in diesem Punkt anders zu verstehen, als die Finanzverwaltung samt BFH dies tut.
Die In der Schweiz geleisteten Sonderausgaben sind in Deutschland steuerlich in gleicher Weise zu behandeln wie Beiträge zur deutschen Sozialversicherung. Es ergibt sich sogar ein Vorteil, wenn das Einkommen ist. Da es in der Schweiz anders als in Deutschland keine Beitragsbemessungsgrenze gibt und somit für das gesamte Einkommen Beiträge erhoben werden, können diese höher sein als bei einem vergleichbaren Arbeitsverhältnis in Deutschland dennoch bleiben die Arbeitgeberbeiträge zur obligatorischen Versicherung in vollem Umfang steuerfrei und sind die Arbeitnehmerbeiträge In vollem Umfang Sonderausgaben.
Der BFH bestätigt in seinem Urteil vom 5.11.2019 auch die regelmäßige Pflicht des Wohnsitzstaates zur Gewährung sämtlicher steuerlicher Vergünstigungen, die an die persönliche und familiäre Situation anknüpfen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn der Steuerpflichtige sein gesamtes oder fast sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen im ausländischen Beschäftigung Staat erzielt und er in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte bezieht. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind zwar möglich; dazu bedurfte es aber einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Staaten über wechselseitige Beziehungen zur Verhinderung von Nachteilen auf dem betreffenden Gebiet. Ein solches Abkommen besteht zwischen Deutschland und der Schweiz jedoch nicht.
Schlussendlich hat der BFH der deutschen Finanzverwaltung und damit vor allem dem BMF ins Gebetbuch geschrieben, dass die Rechtsprechung des EUGH auch hinsichtlich der Verhältnisse zur Schweiz grundsätzlich zu beachten sei. Von daher wirkt der BFH deutlich über das entschiedene Verfahren hinaus.